Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Julia Theeg hat einen unterstützenden Text für Betroffene geschrieben, denn uns wurde vermehrt berichtet, dass das Ausstrahlen des Films sowie die dann folgende Berichterstattung in verschiedenen Medien und vor allem auch ein möglicher juristischer Weg in einigen Personen sehr ungute Gefühle auslöst. Julia Theeg erklärt, was da geschieht und was man dagegen tun kann:

Im Rahmen des Films „Warum Kinder keine Tyrannen sind“ sind viele Betroffene zu Wort gekommen. Der Film war und ist ein großer Erfolg gegen die vermutete Falschbehandlung von Kindern und Jugendlichen durch den Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Michael Winterhoff. Mittlerweile wurde Strafanzeige gegen Winterhoff gestellt, viele Jugendämter und Jugendhilfeträger haben die Zusammenarbeit gekündigt. Obwohl die Entwicklungen für Betroffene natürlich sehr positiv zu werten sind, können bei ihnen Symptome wie Ängste, Traurigkeit, Antriebslosigkeit entstehen.

 

Doch warum ist das so? Und wie können Betroffene Hilfe erfahren?

Wichtig ist erstmal zu wissen, dass die berichteten Erfahrungen in der Praxis Winterhoff massiv einschneidend sein können. Sie können bei den Kindern und Jugendlichen Gefühle von massiver Hilflosigkeit und tiefer Verzweiflung auslösen. Für viele Kinder und Jugendliche, gerade in Jugendhilfeeinrichtungen, stellten die berichteten Behandlungsmethoden einen katastrophalen Einschnitt in ihr Leben dar.

Unser Gehirn ist sehr klug und immer, wenn es an diese Zeit erinnert wird (z.B. in Gesprächen oder auch bei Anschauen des Films), geht quasi die „Alarmanlage“ an. Das bedeutet für die Betroffenen, dass sie die gleichen schlimmen Gefühle wieder erleben oder ganz traurig werden, sich evtl. sogar ausgeschaltet fühlen. Das macht unser Gehirn, um uns vor weiteren schlimmen Erfahrungen zu schützen: „Pass gut auf, das ist schlimm und darf nie wieder passieren“.

 

Doch was kann man dann machen, wenn die Betroffenen das nicht als Schutz erleben, sondern die negativen Gefühle gerade gar nicht passend sind?

Wichtig ist erstmal: Das ist eine ganz normale Reaktion des Körpers auf ganz furchtbare Erlebnisse. Hilfreich könnte sein, dem Gehirn immer wieder zu sagen „Das ist ganz lange her!“ oder „Heute kann ich mir helfen!“ oder auch „Ich bin jetzt viel älter und kann mir Hilfe holen!“. Hilfreich kann auch sein, sich ganz im „Hier und Jetzt“ zu fühlen, z.B. Sport zu machen, sich zu kneifen, um zu merken „Ach, das ist ganz alter Kram und ist lange vorbei.“ oder auch einen Freund oder eine Freundin anzurufen oder sich einen leckeren Tee zu kochen. Wenn das nicht ausreicht, kann man auch mal in eine Chilischote beißen oder sich mit einem Igelball zu massieren.

Wichtig ist außerdem, sich Hilfe zu holen von Freunden oder Bezugspersonen, im Kontakt zu bleiben und sich nicht zurück zu ziehen.

 

Wie kann Psychotherapie helfen?

Die Erlebnisse, wie sie rund um Michael Winterhoff geschildert wurden, und die damit verbundenen Belastungen, können verschiedene psychische Erkrankungen verstärken oder auslösen. Beispielsweise Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Angsterkrankungen können die Folge einer derartigen Behandlung sein. Eine Psychotherapeutin oder ein Psychotherapeut würde im ersten Schritt die Symptome wie z.B. Angst, Traurigkeit, Angespanntheit, Alpträume, immer wieder „in den Kopf kommende“ Bilder der Erlebnisse oder auch Angst vor Situationen oder Vermeidung von Kontakt zu Freunden oder Beziehungen erfassen und erfragen. Daraufhin wird in Absprache mit den Hilfesuchenden ein Behandlungsplan erstellt. Es gibt Möglichkeiten, belastende Ereignisse zu verarbeiten, sodass diese weniger Symptome auslösen. Eine Behandlungsmethode ist EMDR. EMDR ist wissenschaftlich gut untersucht und sehr wirksam bei den beschriebenen Symptomen. Wer mehr wissen möchte über EMDR kann unter https://www.emdria.de/emdr/emdr-therapie/ nachlesen.

 

Wo kann ich Psychotherapeutinnen finden?

Sowohl die DeGPT als auch EMDRIA haben Listen von Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen, die spezialisiert sind in Psychotraumatologie:

https://www.degpt.de/therapeutinnen-suche/

https://www.emdria.de/therapeuteninnen/

 

Ich stehe gerne für weitere Fragen und Gespräch zur Verfügung und wünsche allen Betroffenen die Kraft, dies durchzustehen, den Mut sich Hilfe zu holen und bedanke mich für das Thematisieren und den Mut, diesen Film zu drehen.

Julia Theeg

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Supervisorin (VT)
Spezielle Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen (DeGPT)
EMDR-Therapeutin und Supervisorin K+J (EMDRIA)